Dr. Klaus Heer

CSS – Im Dialog 2/2017
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Liebe ist kein Luftschloss

In Zeiten von Tinder, Parship und Co. gestaltet es sich zunehmend schwierig, eine dauernde, feste Partnerschaft zu führen. Die altbewährten Ehemaximen erweisen sich oft als Trugschluss. Doch was ist dann der Schlüssel für eine funktionierende Zweierbeziehung?

VON KLAUS HEER
Fast alle Beziehungen starten emotional. Die Frontallappen sind geflutet von Hormonen der Marken Phenyl-Ethylamin und Testosteron. Derlei Hormone behindern und verhindern das Denken.

Denn Gefühle erweisen sich immer als instabil. Psychologen haben gemessen, dass kein einziges Gefühl länger als sechs bis sieben Sekunden unverändert bleibt. Was Wunder also, dass Verliebtheit kaum ein paar Monate überdauert. Dann verblasst sie.

Will heissen: Anspruchsvoll wird es, sobald man auf dem Boden der Nüchternheit zurück ist. Jetzt ist denken gefragt. Selber denken. Nicht nachdenken, was man allenthalben gehört und gelesen hat. Denn das meiste davon ist falsch.

Fadenscheinige Ratschläge

Es stimmt nicht, dass es in der Liebe drauf ankommt, den «richtigen» Partner zu suchen und zu finden. «Matching» ist das profitable Geschäftsmodell der Online-Partnerbörsen, sonst aber nichts wert. Die indische arrangierte Ehe hat mindestens die gleichen Gelingenschancen wie unsere einheimische «Liebes»-Heirat.

«Man muss halt reden miteinander!» Das ist eine geschwätzige Stammtischweisheit, die in die Irre führt. Miteinander reden mutiert in den meisten Beziehungen zum chronischen Paarproblem. Die Lösung rückt dabei in immer weitere Ferne.

Ehrlichkeit und Wahrheit seien das Herzstück der Liebe, heisst es. Wer das glaubt, neigt dazu, den anderen mit dem Knüppel der «Wahrheit» zu prügeln. Ohne es zu merken.
Fehlende Gemeinsamkeiten wie Hobbys und Ähnliches liessen Paare zunehmend auseinanderdriften, kann man überall lesen. In Wirklichkeit halten sich manche Paarschaften kaum aus, weil sie einander zu nahe sind und sich so aufreiben.

Von vielen Paaren höre ich die Klage, sie hätten keine «Streitkultur». In meinem Kopf leuchtet auf: Die beiden sollten sich entscheiden zwischen Streit und Kultur. Beides ist nicht gleichzeitig zu haben.

Nicht selten vermissen die zwei die «Leidenschaft» der Frühzeit ihrer Liebesgeschichte und sind traurig darüber. Ja, Leiden schafft Traurigkeit. Denn wer im Sommer den Freuden des Frühlings nachtrauert, macht sich unglücklich.

Viele Paare beklagen die chronische Baisse ihrer Sexualität. Aber niemandem fällt auf, dass ihr Kussleben schon seit Jahren und Jahrzehnten flöten gegangen ist.

Diese kleine Auswahl von Beziehungs-Fakes lässt vermuten, dass wir leider viel zu gut wissen, wo es klemmt. Wir verlassen uns halbblind auf die Ausscheidungen von Experten. Das macht uns irr, wirr und kopflos. Ich als einer dieser vielen Besserwisser weiss es nicht besser als sie. Mir ist lediglich aufgefallen, dass eine Reihe der wohlfeilen Ideen offensichtlich faule Nieten sind. Sie halten nicht, was sie versprechen. Sie sind also entbehrlich.

Aber worauf kommt es denn nun an in der Zweisamkeit? Selber denken bitte! Jede Ehe, die gut überleben will, muss zur Vernunftehe werden. Vernunft mit Herz, meine ich.
© Dr. Klaus Heer: Psychologe – Paartherapeut – Autor