Dr. Klaus Heer

SonntagsBlick vom 16. Februar 2014
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«Keine Lust auf Sex?»

Eines der häufigsten Probleme in Beziehungen ist zu wenig Sex: Kein Interesse, kein Spass daran – oft Monate oder Jahre – und der Partner leidet darunter. Das Klischee, dass die Ablehnung von Frauen ausgeht, ist längst überholt. Die Lustlosigkeit kann beide Geschlechter treffen. Der Paartherapeut Klaus Heer [70] über die Krise im Bett und was Paare tun können, um die Lust wieder neu zu entdecken.

VON: ATTILA ALBERT

Will keinen Sex

Wer Sex verweigert, hat häufig ein schlechtes Gewissen - und unerfüllte Sehnsüchte.
Manchmal ist es eine scheinbar unerklärliche Lustlosigkeit, manchmal schroffe Ablehnung: der Wunsch, keinen Sex (mehr) mit dem eigenen Partner zu haben.

Was sind die häufigsten Gründe?

1. Eisiges Beziehungsklima oder zu viele Sorgen. «Männer wollen meist trotzdem noch Sex haben, für Frauen geht es nicht mehr.»

2. Die Partner haben nie darüber geredet, was für sie eigentlich guter bzw. schlechter Sex ist. «Männer übertragen Ihre Wünsche häufig ungeprüft auf ihre Partnerin.»

3. Leistungsdruck. «Wenn Erregung und Orgasmus zur Pflichthürde wird, über die man kommen muss, machen viele Frauen dicht.»

4. Ein Partner hat wortlos Sex zugestimmt, den er/sie gar nicht wollte. «Die Verweigerung ist ein Weg, die Selbstachtung zurückzugewinnen, sich nicht mehr wie eine zu fühlen.»
Der Hinweis auf angebliche Kopfschmerzen ist in der Realität eher selten. «Körperliche Probleme sind die Ausnahme. Es kann wehtun, etwa bei älteren Frauen, aber da hilft ein Besuch beim Gynäkologen.»

Wie wird Sex verweigert?

Klaus Heer: «Meist ist es ein stillschweigender Streik durch Wegdrehen und Ausweichen. Er wird nicht klar formuliert, von beiden Partnern nicht als Realität anerkannt.» Beide Seiten sind sich dabei aber unausgesprochen einig, dass so etwas in einer Beziehung nicht sein darf.
Was bedeutet das für die Liebe?

Heer: «Dass einer viel Lust hat und der andere wenig oder gar nicht, hängt in der Luft und belastet die Atmosphäre.» Manche Paare verzweifeln still, bei anderen entlädt sich die Spannung in ständigem Streit. Die sexuelle Unstimmigkeit macht beide unzugänglicher – das lässt die Liebe auch jenseits des Betts verdorren.

Was fühlt der Ablehnende?

Er hat ein schlechtes Gewissen, weil er den Partner scheinbar enttäuscht und die Beziehung gefährdet. Er fühlt sich durch offene oder versteckte Forderungen des Partners («Liebst du mich überhaupt noch?») unter Druck gesetzt, fürchtet Reaktionen wie Wut, Tränen, Drohungen. Heer: «Wer Sex verweigert, fühlt sich im Unrecht.»

Lässt sich Lustlosigkeit heilen?

Heer: «Niemand, der Sex verweigert, ist darauf aus, ihn ein für allemal abzuschreiben. Die Sehnsucht nach Körperlichkeit ist in der Tiefe immer vorhanden.»

Am wichtigsten laut Heer: «Lernen, klar Nein zu sagen, die Ablehnung zu begründen, eigene Wünsche zu formulieren und umzusetzen. Das geht - aber nur in aktiver, liebevoller Zusammenarbeit.»

Kriegt keinen Sex

Wer keinen Sex bekommt, fühlt sich als Mensch abgelehnt und ist oft tief verzweifelt.
Immer wieder eine Annäherung zu versuchen und abgewiesen zu werden, erzeugt eines der schmerzhaftesten Gefühle: Wem Sex verweigert wird, der ist oft tief verzweifelt.

Was sind die Gründe?

1. Nichtwissen, was der andere braucht, um sich körperlich geliebt zu fühlen. Wer nie nach den sexuellen Wünschen seines Partners fragt, hält seine eigenen irrtümlich für den Standard.

2. Die Vorstellung, es gebe in der Beziehung ein Anrecht auf Sex. Wer so denkt, neigt auch dazu, sich durch Druck, Drohungen und Erpressungen durchzusetzen.

3. Fehlender Raum für den Partner, sich in der Beziehung so zu zeigen, wie er/sie wirklich ist. Das setzt sich bis ins Bett fort, führt schliesslich zur Verweigerung.

4. Die Emanzipation der Frau endet heute oft noch an der Bettkante. Beim Sex soll SIE machen, was ER will. Das verletzt die Selbstachtung einer modernen Frau.

Was fühlt der Abgewiesene?

Man fühlt sich nicht nur als Sexualpartner, sondern auch als Mensch abgelehnt und unschuldig bestraft. Heer: «In dieser Lage ist man wütend, frustriert, aggressiv, verzweifelt und hilflos. Man wünscht sich nichts sehnlicher, als dass es endlich wieder funktioniert.»
Häufig sieht der Abgelehnte nicht, dass der Partner ebenso unter dem Sex-Boykott leidet. Klaus Heer: «Meist denken beide Seiten durchaus ähnlich. ‹So habe ich mir das nicht vorgestellt. In unserer Beziehung fehlt etwas, was jeder Mensch braucht.› Und das stimmt.»

Was sind häufige Reaktionen?

Manche Männer beginnen, ins Bordell zu gehen: häufig in der Annahme, der Partnerin sei das egal. Ihre Angebote («Geh doch zu einer anderen oder ins Puff») werden nicht als das verstanden, was sie sind: verzweifelte Reaktionen, nicht ernst gemeinte Vorschläge.

Was bedeutet das für die Liebe?

Heer: «Es ist sehr hart, ohne Sexualität und Berührung zu leben – für beide. Gern verkriechen sich Paare in ihrer Resignation oder in verbissener Wut. Das macht Therapien oft zu einem steinigen Weg, aber immerhin sind sie ein Weg.»

Der erste Schritt ist immer die Einigung: «Nie wieder machen wir Sex, zu dem wir nicht beide Ja gesagt haben. Keiner drängt je wieder zu Sex, keiner lässt sich drängen.»

Ein spielerischer Start kann es sein, einmal absichtlich richtig schlechten Sex zu haben: «Humor entlastet. Und Sie verstehen besser, was vorher nicht so gut lief.»
© Dr. Klaus Heer: Psychologe – Paartherapeut – Autor