Dr. Klaus Heer

Offizin Verlag Zürich 2014
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Osorno-Feuer: «Neugier macht mich unruhig. Und die Unruhe wird nicht weniger.»

Nachfrager, Schatzsucher, Moderator, Coach, Verwirrer, Entwirrer und besonders einer, der sich brennend für das innere Feuer bei Menschen interessiert. Klaus Heer, 71, Instanz für Beziehungen, Wortefinder für das komplizierte Thema Sexualität, war auf Anhieb ein idealer «Osorno». Der Therapeut und Buchautor wirkt, weil er sich seinem Thema mit grosser Genauigkeit zuwendet – er lässt sich Zeit, um Wichtiges auf den Punkt bringen zu können. Wenn er Ja sagt, gibt er sich ein. Hier wirkt Klaus Heer mit präzisen Aussagen zu einem vielschichtigen Thema. Er bevorzugt für seine Darstellung das Interview.
Klaus Heer im Buch von ANGELIKA RAMER
Der Vulkan Osorno ist meine Metapher für Sichtbarkeit, Orientierung, Anziehungskraft – er wirkt. Was ist Wirkung aus Ihrer Sicht?
Klaus Heer: Ich habe zwiespältige Assoziationen zum Begriff Wirkung. Er setzt sich für mich zusammen aus etwas bewirken wollen und tatsächlich etwas bewirken. Wirkung findet also beim Sender und beim Empfänger statt – und zwar sehr unterschiedlich. Mir fällt auf, dass ich mich bis heute nie wirklich mit der Frage meiner Wirksamkeit beschäftigt habe. Sie interessierte mich bisher kaum. Je länger je weniger. Wenn ich aber jetzt darüber nachdenke, stelle ich fest, sie war unterschwellig wirksamer, als ich zuerst vermutet hatte.

Wie wirken Sie in Ihrem privaten und beruflichen Umfeld?
Ich trete halböffentlich und öffentlich als freiberuflich tätiger Paartherapeut und als Publizist zum Thema Paarleben und Beziehungssanierung auf. Privat habe ich meine Wirkung weniger im Griff: Hier neige ich eher dazu, darauf zu achten, dass wir – meine Partnerin und ich – einen möglichst günstigen gemeinsamen Nenner haben. Ich versuche also gerne, meine Wirkung auf ihre vermuteten Erwartungen abzustimmen.

Ist Wirkung für Sie etwas Natürliches, Spontanes oder lässt sich Wirkung auch erlernen und steuern, zum Beispiel optisch?
Es kann beides sein. Für mich selbst war die Begabung für Wirkung nicht wirklich von Anfang an da. Ich habe immer erkunden und lernen müssen, wie ich in einer Weise wirksam sein kann, die mir und meinen Absichten entspricht. Noch heute, wo ich alt bin, ist das für mich ein Experiment.

Wenn Sie in Ihrem Leben zurückblicken: Gibt es ein Schlüsselerlebnis, das Sie auf Ihre Wirkung aufmerksam machte oder etwas auslöste, was Ihre Wirkung noch heute prägt?
Als Kind und Jugendlicher sollte und wollte ich Priester werden. In der katholischen Tradition war der älteste Sohn jeder Familie beinahe zwingend für diese Aufgabe bestimmt. Die Vorstellung, auf diese Weise wirksam zu werden (als Prediger, Sakramentenvermittler und Ritualleiter) hat nach meiner Abkehr von der institutionellen Religion meine Berufswahl entscheidend geprägt: ich bin säkularer Seelsorger, also Psychologe, geworden.

In diesem Buch kommen Menschen zu Wort, die in der Öffentlichkeit bekannt sind oder in der Öffentlichkeit stehen. Was macht einen Menschen bekannt und sichtbar? Er muss überzeugt sein, etwas Relevantes zu sagen zu haben, muss das sprachlich gewandt zum Ausdruck bringen können und adäquate Medien zur Verfügung haben.

Muss ein Mensch bestimmte Dinge tun oder können, um wirkungsvoll zu sein?
Er braucht: inneres Feuer, Sprachbegabung und feines Augenmass. Und vor allem ein gerüttelt Mass an Ehrgeiz.

Meine Gesprächspartnerinnen und -partner wählte ich intuitiv aus. Ich verrate es Ihnen gerne, frage Sie aber zuerst: Warum Sie?
Ich habe ein scharf umrissenes öffentliches Profil, weil ich mich seit etwa 40 Jahren immer zu einem einzigen Themenschwerpunkt äussere: Zweisam & einsam.
Was mögen Sie am meisten an sich, an Ihrer Wirkung?
Mit gefällt, wie hartnäckig, sorgfältig und investitionsfreudig ich an meinen Themen dranbleibe. Schreiben ist meine permanente Weiterbildung. Heute bin ich nicht mehr derselbe Klaus Heer wie 1974. Ich zeige mich und meine Anliegen gleichzeitig differenzierter und einfacher. Ich weiss immer weniger darüber, was eine Beziehung im Innersten zusammenhält und spaltet. Genau das entfacht immer mehr meine brennende Neugier: einander lieben, einander fürchten, einander brauchen, einander abstossen, einander hören und überhören, einander links liegen lassen, ineinander verhakt sein – was ist das alles in unserem real gelebten Leben? Diese Neugier macht mich unruhig, und die Unruhe wird nicht weniger. Und was mich schliesslich am meisten und immer mehr überrascht an mir selbst: Ich habe ein deutlich unterdurchschnittliches Mass an Sendungsbewusstsein und missionarischem Eifer. Mein Ehrgeiz ist allemal stärker.

Was geht Ihnen auf die Nerven, was mögen Sie weniger an Ihrer Wirkung?
Ich nerve mich immer heftiger, wenn ich mir vorkomme wie ein Klugscheisser – und es auch bin. Die Presse verführt mich systematisch dazu. Dauernd soll ich Tipps und Tricks absondern und mich damit blamieren. Nicht immer bin ich stark genug, dem Druck zu widerstehen. Nicht einmal in der täglichen Praxisarbeit bin ich gegen meine peinliche Besserwisserneigung gänzlich gefeit. Die eindrückliche Ratlosigkeit vieler Klientenpaare stimuliert nach so vielen Jahrzehnten Berufserfahrung noch immer gelegentlich mein Besserwisserhormon. Dabei weiss ich doch haargenau, dass seine Wirkung irreführend und verwirrend ist, sonst nichts.

Gab es eine Situation oder Momente in Ihrem Leben, in der Sie dachten, viel Wirkung zu haben oder etwas bewirken zu können, aber wirkungslos blieben?
Ja, ich kann nicht drüber reden, ohne mich zu schämen. Ich habe tatsächlich einige Male Anleitungen und sogar ein Ratgeberbuch publiziert, vor allem im Bereich Sexualität und Sinnlichkeit. Manchmal sogar mit beachtlichem ‹Erfolg›. Heute sträuben sich meine Nackenhaare, wenn ich nur dran denke. Denn es gibt nichts Eigeneres und Unzugänglicheres als unseren erotischen Lebenskern. Jeder Ratschlag ist hier ein Schlag ins Wasser.

Gibt es einen Lebensbereich, in dem Sie gerne mehr oder eine andere Wirkung hätten?
Ich tagträume unablässig von einem neuen Buch über Alltags-Gesprächsminiaturen. Über dialogische Kleinstgeschichten und verbale Stillleben, die sich zwischen Mann und Frau abspielen und Wort für Wort dokumentieren lassen. Ich weiss es eins zu eins von mir: reale Geschichten haben die stärkstmögliche Wirkung. Wahrscheinlich weil mir niemand im Wege steht, der eine Wirkung erzielen will, wenn er mir die Geschichten erzählt.
© Dr. Klaus Heer: Psychologe – Paartherapeut – Autor