Dr. Klaus Heer

Paul, 40 Jahre alt: «Warten bis der Knopf aufgeht»


PAUL B. ist 40 Jahre alt, von Beruf Grundschullehrer,
seit 13 Jahren liiert und seit elf Jahren verheiratet mit
Martha, 43 Jahre, Hausfrau und Teilzeitlehrerin; zwei Söhne, zehn und sechs Jahre alt.
Seine Grösse: 181 Zentimeter, sein Gewicht: 81 Kilogramm.
Hobbys: Bergsteigen, Schwimmen.
Weiss Ihre Frau, dass Sie hier sind?
Nein.

Warum nicht?

Was sie da zu lesen bekäme, könnte sie verletzen. Und sie wäre vermutlich enttäuscht, dass ich ihr die Sachen nicht selber gesagt habe.

Es gibt Dinge in Ihrer gemeinsamen Sexualität, die schwierig auszudrücken sind, und die könnten ihr in den falschen Hals geraten?

Ja. Ich bin nicht mutig genug, diese Themen auf den Tisch zu bringen.

Was zum Beispiel?

Sie wirft mir vor, ich sei ihr zu direkt und unverblümt, zu »technisch«. Meine sexuellen Vorstösse seien zu wenig eingebettet in eine Atmosphäre, die für sie stimmt, sagt sie. Ich schaffe den Zugang zu ihr nicht, so wie ich ihn gestalten möchte. Umgekehrt bräuchte ich von ihr wohlige Kuscheligkeit, um in Fahrt zu kommen. Das spricht sie überhaupt nicht an, sexuell. Für sie heisst das: kuscheln und einschlafen.

Stecker und Steckdose passen nicht zusammen?

Ja, genau. Manchmal lässt sich der Stecker hineinzwängen, aber es flutscht nicht. *Lacht*. Martha möchte über verbale Phantasien in den Sex einsteigen, aber ich fühle mich in dieser Welt nicht zuhause.

Wie könnte, müsste das tönen, damit sie in Schwung käme?

*Überlegt länger*. Ich weiss es nicht. Wenn ich es wüsste, wären wir nicht so verkantet seit 13 Jahren. Vielleicht so: Martha würde gern kokett, anzüglich mit mir reden, um erotisch in Stimmung zu kommen, und diese Anmache geht mir vollständig ab. Ich hab’ das nie gekonnt.
Was Martha scharf macht, stellt Ihnen ab ...
... und was mich scharf machen würde, macht sie todmüde. *Lacht*.

Eine kuschelige Martha würde Sie reizen?

Zärtlich möchte ich sie.

Beschreiben Sie bitte konkret so eine verkantete Szene!
Wir liegen zusammen im Bett. Ich streichle sie, unter anderem auch an Orten, die sie als eindeutig erogene Zonen empfindet, also an ihrer Brust, ihrem Hintern, ihren Schenkeln zum Beispiel. Das empfindet sie als lästig. Es bringt sie überhaupt nicht in Stimmung. Seelenloses Rubbeln ist das für sie.

Sie haben keine Ahnung, wo ihr Lieferanteneingang ist?
Ja, ich beherrsche die Kunst nicht, an sie heranzukommen. Es gelingt nur, wenn sie bereits in sexueller Stimmung ist. Ich selbst verbreite offenbar keine erotische Atmosphäre, obwohl ich oft in mir erotische und sexuelle Gefühle und Lüste spüre. Martha scheint nichts davon mit- zubekommen, und ich zeige es auch nicht ausdrücklich. Das muss ich wohl auf meine Kappe nehmen.

So dass sie dann im Bett in fünf Sekunden von null auf hundert kommen muss ...
*Lacht*. Ja, sozusagen. Und das findet sie mühsam und ist enttäuscht.

Sie selbst sind enttäuscht, weil Sie sich exponiert haben und dann eins auf die Finger kriegen?

Genau, lange Zeit war das so. Da schlüpfte ich zu ihr unter die Decke und versuchte, sie zu streicheln. Dann blitzte ich regelmässig ab und war verletzt. Heute kläre ich vorher meine Chancen ab.
© Dr. Klaus Heer: Psychologe – Paartherapeut – Autor